Abschied von der Baureihe 471

Am Freitagmorgen, den 26. Oktober 2001, wurde im Netz der Hamburger S-Bahn zum letzten Mal mit 471 062 ein Fahrzeug der Baureihe 471 planmäßig eingesetzt und damit auch ein Stück Hamburg verabschiedet. „Einst gehörten die blauen Züge zum Stadtbild wie der Michel und die Barkassen“ schrieb in einem warmherzigen, über eine halbe Seite großen Artikel das Hamburger Abendblatt im Hamburg-Teil der Wochenendausgabe vom 27. Oktober 2001.

471 037, 081 und 004 am 18. Oktober 1998 in der Kehre Barmbek Schon am 25. Oktober 2001 begannen die Vorbereitungen für den letzten „großen Tag“ in Elbgaustraße. Dorthin fuhr 471 062 nach dem Ende seines Einsatzes in der Früh-Hauptverkehrszeit (natürlich mit Fahrgästen), um von außen gewaschen und innen gründlich von vielen fleißigen Händen gereinigt und geputzt zu werden. Danach ging es gegen Mittag in schneller Fahrt ins Werk Ohlsdorf, wo die Mitarbeiter der Lokfahrschule kurze Zeit später die von der S-Bahn Hamburg GmbH spendierten Girlanden an den beiden Stirnseiten des Zuges anbrachten. Den „letzten Schliff“ besorgten abends zwei Mitglieder des Vereins Historische S-Bahn Hamburg e.V., in dem sie die Abschiedsschilder montierten, zwei oder drei defekte Glühlampen ersetzten und ein klemmendes Fahrzielband wieder halbwegs gangbar machten. Gegen 23 Uhr schloss sich das Rolltor des Hallengleises 25, wo 471 062 Stirn an Stirn mit einem seiner neuen „Kollegen“ der Baureihe 474 übernachtete.

Am 26. Oktober 2001, dem großen Abschiedstag, ist Jörg Wenzel von der Lokfahrschule schon früh im Werk Ohlsdorf. Er hat es sich nicht nehmen lassen, den letzten planmäßigen Einsatz von 471 062 selbst zu fahren. 6.33 Uhr soll die Fahrt als Leerzug nach Altona beginnen. Irgendwie scheint jedoch der Rangierdienst, der ohnehin durch die Einsatzzüge der S11 um diese Zeit viel zu tun hat, die kleine zusätzliche Notiz für 471 062 auf ihrem umfangreichen Rangierplan übersehen zu haben. Als es schließlich bemerkt wird, ist es schon zu spät. So kommt 471 062 als Zug 7136 erst um 6.52 Uhr mit 19 Minuten Verspätung „in Fahrt“. Deshalb geht es auch nicht wie vorgesehen über Landungsbrücken, sondern über Dammtor. So muss der Zug in Altona nicht erst aussetzen oder der Lokführer den Führerstand wechseln, sondern die dort im Fahrplan vorgesehene Kehrzeit von 10 Minuten wird kurzerhand dazu benutzt, die Verspätung zu halbieren. Um 7.27 Uhr können deshalb die schon seit der ursprünglich vorgesehenen Abfahrtszeit 7.17 Uhr unruhig wartenden S-Bahn-Freunde aufatmen: 471 062 fährt, nun als Zug 8179, in den Bahnhof Altona auf Gleis 1 ein.

Doch keine Zeit für lange Sätze: „Bitte zurückbleiben“ tönt es nach einem Pfiff aus den Lautsprechern und nach dem markanten Zuschlagen der Türen beginnt der letzte planmäßige Fahrgasteinsatz von 471 062 auf der Linie S2 nach Bergedorf und zurück. In den Bahnhöfen neben den „informiert-sachlichen“ Mienen der Eisenbahnfreunde auch viele vom festlich dekorierten Aussehen des Zuges überraschte Fahrgäste. So manches vom Bürostress gezeichnete Gesicht hellt sich kurz auf, als es den geschmückten Zug sieht. Brillen werden schnell gezückt, um das Abschiedsschild zu lesen, und einige Menschen bleiben sogar einen Moment stehen, um bewusst das anzusehen, was von ihnen bisher nur gleichgültig als Transportmittel wahrgenommen wurde.

Ab Berliner Tor kann 471 062 noch einmal zeigen, was an PS in ihm steckt. Leider reichen die 80 km/h nicht aus, die Fahrzeiten zu halten. Statt 8.00 zeigt die Bahnsteiguhr 8.07 Uhr, als der Schein der Glühlampen durch die Fenster des Zuges auf den Bergedorfer Bahnsteig fällt. Schnell in die Kehranlage und wieder an den Bahnsteig. Trotzdem wird es 8.14 Uhr, bevor der „Veteran der Schiene“ zu seiner nun wirklich letzten fahrplanmäßigen Reise als Zug 8222 und 13 Minuten später als im Fahrplan verzeichnet von Bergedorf nach Altona aufbricht. Langsam füllt sich der Zug. Am Hauptbahnhof ist der Bahnsteig schwarz vor Menschen. Der Triebzug meistert auch dies ohne Stöhnen der robusten Motoren, allerdings müssen die Fahrgäste nun zumindest bis Stadthausbrücke etwas enger als gewöhnlich stehen und sitzen.

Bild der Überwachungskamera Billwerder-Moorfleeet 8 Minuten später als in den Fahrplänen ausgedruckt erreicht 471 062 zum letzten Mal im regulären Fahrgasteinsatz sein Ziel, den Bahnhof Altona. Hier wartet eine kleine Überraschung auf den Lokführer. Von der Bahnsteigaufsicht wird ein Bild überreicht, das die Service-Leitzentrale der S-Bahn spontan von einer Aufzeichnung der Überwachungskameras angefertigt hat und ihn zusammen mit 471 062 in Billwerder-Moorfleet zeigt.

„Bitte alle aussteigen, dieser Zug endet hier und wird ausgesetzt.“ - Wie endgültig klingt doch jeden Tag dieser Satz aus unzähligen Lautsprechern der S-Bahn. Doch diesmal hat er eine besondere Bedeutung für den gerade am Bahnstieg stehenden Zug: Niemals wieder wird ein Fahrzeug der Baureihe 471 im normalen Fahrgastverkehr zum Einsatz kommen.

61 Jahre, 10 Monate und 14 Tage prägten tagein tagaus die Triebzüge der Baureihe 471 das Bild auf Hamburgs Gleisen. Nun ist diese Ära unwiderruflich zu Ende. (27.10.2001)

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